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atb #17 | Verbesserung

Istituto Divorciado & Sex Tags

am 26. September 2008 ab 18 Uhr

Ausstellung: 29. September – 8. November 2008
Öffnungszeiten: nach telefonischer Vereinbarung: 0179-9473040
VERBESSERUNG

TEXT VON CORDULA DAUS

Oft geht einer großen Vision eine kleine Verbesserung voraus. Nur vier Tage lang wehte die Flagge der Vereinigten Staaten von Brasilien im November 1889 müde am Mast – eine grün-gelbe Imitation der amerikanischen Stars and Stripes. Dann entwarf Raimundo Teixeira Mendes nach Aufzeichnungen von Auguste Comte eine Bessere: Seitdem schwebt quer über dem blauen Globus auf südlichem Sternenhimmel eine Banderole mit dem positivistischen Glaubensbekenntnis »Ordem e progresso« (Ordnung und Fortschritt). Eine Losung, die sich heute sicherlich noch einmal verbessern ließe.
Die Regenbogenfahne hingegen ist ein in der Geschichte oft variiertes Symbol für Vielfalt: Schon die Inkas haben sie benutzt, Regenbogenfarben symbolisieren das Jüdische Autonome Gebiet oder stehen für Toleranz und sexuelle Freiheit. Die Ausstellung „Verbesserung” zeigt gleich eine ganze Regenbogenmaschine samt Gemälde – die Spur einer Aktion, deren Farbe sich in die Wand gefressen hat. Die Kuratoren und Künstler vom Instituto Divorciado und Sex Tags haben für den Ausstellungsraum After the Butcher eine wahrhafte Wunderkammer zusammen gestellt, bei der die großen und kleinen Szenarien der Verbesserung aufeinander treffen: politische Utopien und ihre Katastrophen, Zeittunnel, Eggzorzismen, Weltverbesserer und Heimwerker, Entfesselungskünstler und Entlauste, obszöne Kängurus und sich selbst lesende Bücher.
Die Idee der Verbesserung hat etwas Unverbesserliches an sich. Hinzu kommt, dass die Silbe „Ver-” im Deutschen, sobald man sie nur ausspricht, sofort das Gefühl eines Verlustes auslöst. Im Unterschied zum „Versagen”, „Verschwinden” oder gar der „Verzweiflung”, verspricht die Verbesserung zwar Aufschwung, Fortschritt oder Veredelung, doch das „Ver-” verrät sich: Da lauert die Kleinlichkeit der Korrektur, der abgehalfterte Optimismus des Vorher-Nachher. Wo verbessert werden muss, da ist was nicht in Ordnung.
„Die Welt wird alt und wird wieder jung, doch der Mensch hofft immer Verbesserung”, schreibt Friedrich Schiller 1797. 2007 wird der Schimpanse Cheeta 75 Jahre alt und schlägt als ältester Menschenaffe alle Rekorde. Mittlerweile haben es Menschen in Industrieländern, als die optimiertesten aller Affen, durch Verbesserungen in der Medizin auch auf eine durchschnittliche Lebenserwartung von 80 Jahren gebracht. In der Tat reicht das semantische Feld der Verbesserung vom zoologischen Qualitätsmanagement über Wünsche zur persönlichen Gesundheit bis hin zu sozialpolitischen oder gar planetarischen Belangen. Doch wie sieht es mit Verbesserungen in der Kunst aus?
Verbesserung in Bezug auf Kunst irritiert, weil sie eine Messbarkeit impliziert, die im hoffnungslos irrationalen Bereich der Ästhetik, der Kunstmärkte und ihrer Geschmacksurteile fehl am Platze zu sein scheint. Wer verbessert was, wozu und in welchem Sinne? Spätestens seit Hegels berühmter These vom Ende der Kunst könnte man behaupten, ist die Kunst von ihrer sakralen Mission, dem Fortschrittsglauben an eine höhere, allein künstlerisch darstellbare Wahrheit befreit und kann sich der „lebendigen Gegenwärtigkeit” widmen. Wenn Kunst nicht mehr als allgemeine ethische Instanz funktioniert – was ließe sich dann noch mit dem normativen Begriff der Verbesserung anfangen? Wenn überhaupt, wie könnte Kunst
verbessern, ohne selbst der Rhetorik der Verbesserer anheimzufallen? Und wie würde verbesserte Kunst aussehen?
Das Instituto Divorciado (ID) sagt: „Bringt Eure Kunst und wir verbessern sie”. Ein pragmatisches Serviceangebot, das jede Metaphysik mit Füßen tritt und teilnehmende KünstlerInnen vom eigenen Werk und Ego zu befreien verspricht. Im April 2009 wird die Ausstellung „Wir verbessern ihre Arbeit” in der Galerie Sandra Buergel folgen. Dann wird ID in die Arbeiten der eingeladenen Künstler intervenieren.
Eine Art übergriffiges Kuratieren, bei dem nicht nur Autorenschaft, sondern der Maßstab für „gute” Kunst selbst auf dem Spiel steht. Also, her mit Eurer Kunst!

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> Sex Tags

atb #16 | K2ao

K2ao, die Liebe, die Arbeit und der Raum in Berlin
K2ao, Klasse2aufbauorganisation München

Samstag, 5. Juli 2008, 18-24 Uhr
Aufführungen um 18:30 h und um 22:30 h

Ausstellung: 7. Juli – 23. August 2008
Öffnungszeiten: nach telefonischer Vereinbarung +49 (0)179 947 30 40
geschlossen: 16.-31. Juli

K2ao, die liebe, die arbeit und ein raum in berlin
K2ao, Klasse2aufbauorganisation

K: was sollte das ganze jetzt eigentlich?
zum einen gab es da ja szenen wie unsere, die mit den nutten oder die vermieterszene, die man als darstellung des faschistoiden verhaltens im alltag, als kritik am kapitalismus im allgemeinen oder vielleicht sogar am kunstmarkt im speziellen sehen kann.

2: zum anderen war da ja auch die szene mit der tänzerin, dieses antreibende, exzessive, rational nicht zu erfassende.

A: und dann gabs ja da auch noch den text von Otto Gross, also eine szene die uns vielleicht eine möglichkeit aufzeigen will, wie man diesen kreislauf durchbrechen könnte, wie es weitergehen könnte.

O: vielleicht wollen die autoren, also K2ao ja, dass wir uns aus der starren panzerung lösen, wie sie uns in der ersten szene auf den leib geschrieben wurde.

K: aber wer ist K2ao eigentlich?

2: eigentlich sind sie ja den dargestellten verhältnissen genauso ausgeliefert wie wir.

A: um aus unserem rollenverhalten auszubrechen müssen wir uns mit einer realität von außen konfrontieren. ich könnte ja da drüben wohnen, da würd ich dich einfach mal mitnehmen.

O: ja, das wär gut. schauen wir mal, was im drehbuch steht.

K: ja, da können wir auch gleich mal schauen, was wir über K2ao sagen sollen…

Liebe Freunde und Bekannte, Familien,
wir würden uns sehr freuen, Euch am Samstag den 5. Juli bei after the butcher begrüßen und mit Kunst unterhalten zu dürfen.
,Boheme‘ wird zur Zeit in Berlin gerne in die Laptops getippt, um so einen neuen Begriff von Arbeit, verbunden mit dem passenden Lifestyle zu rechtfertigen. In München gab es zur vorletzten Jahrhundertwende auch eine Boheme und weil die sich weitaus interessanter gestaltet hat und weil wir von dort kommen, beschäftigen wir uns seit einiger Zeit damit. So fließt diese Recherche in unsere Köpfe, in denen auch andere Dinge schwimmen und wenn sich das verbindet und dann rauskommt, nennen wir das unsere Arbeit.
Nicht nur Kosmikerkreis, Fassbinder, Mary Wigman und das Kapital reichen uns und Euch die Hände; es geht auch um Malerei und was man da heute noch so machen kann. Ein Jahr nach Giti Nourbakhsch sind wir wieder in Berlin, diesmal mit wie immer guten Sachen… der Motor der Inszenierung brummt… Lichtenberg leuchtet! Fahrt zur Hölle!

cu

K2ao

atb #15 | Th. Erdelmeier – M. Pernice

Thomas Erdelmeier, Manfred Pernice

Eröffnung: Freitag, 16. Mai 2008, ab 19 Uhr

Ausstellung: 17. Mai bis 28. Juni
Öffnungszeiten: nach telefonischer Vereinbarung
+49 (0)179 947 30 40
vom 23. bis 28. Juni täglich von 13-19 Uhr

Pressemitteilung

Wir erlauben uns, Sie auf unsere aktuelle, nur noch eine Woche laufende Ausstellung mit Arbeiten von Manfred Pernice und Thomas Erdelmeier aufmerksam zu machen.

Manfred Pernice hat speziell für diese Ausstellung zwei mehrteilige Skulpturen gefertigt.
Die erste – Usinger II – besteht aus einer Art Theke, die zu Teilen mit Fotokopien bebildert ist und von zwei gerahmten Fotografien an der Wand flankiert wird.
Das Herzstück der zweiten Arbeit – Kaskeltreff – ist eine s-förmig gestaltete Holzbank, auf der etwa zwei Dutzend lose abgelegte Bücher zum Lesen einladen. Am gegenüberliegenden Kopf der Bank stehen drei Keramikgefäße, gefüllt mit Salzstangen, Chips und Keksen. Zwei Kaffeetassen hängen an Haken an der Seite. Drei würfelförmige Hocker komplettieren diese Werkgruppe.

Auf unterschiedliche Weise beziehen sich beide Arbeiten sowohl auf soziale Kontexte des Ausstellungsortes, als auch auf biografische Aspekte des Künstlers:

Die auf der Theke angebrachten Fotografien in Usinger II verweisen auf zwei Erfolgsgeschichten, die beide in Pernices Heimatort Wehen im Taunus ihren Ausgangspunkt haben. Zum einen lebte ein paar Häuser entfernt von Pernices Familie der Erfinder der „Mainzelmännchen“, Wolf Gerlach – und von hier aus zog um ca. 1870 der junge Fleischergeselle Fred Usinger nach Amerika und schrieb mit seinen bis heute geheimgehaltenen Wurstrezepten eine dieser klassischen Erfolgsgeschichten des „american dream“: die Firma Usinger in Milwaukee erzielt heute Millionenumsätze mit ihrer Wurstproduktion. Beworben werden die „Usinger Sausages“ mit Elfen und Zwergen – hier scheint sich der Kreis zu schließen mit den „Mainzelmännchen“.

Kaskeltreff heißt der Kieztreffpunkt auf der Kaskelstraße, keine 100m von den Galerieräumen entfernt. Hier kommen Kiezbewohner-innen zusammen und tauschen oder leihen sich Bücher bei einem nachbarschaftlichen Plausch mit Kaffee und Kuchen. Pernice greift die Idee des sozialen, nicht-profitorientierten Raumes auf und schafft mit dieser gleichnamigen Werkgruppe eine Möglichkeit, Platz zu nehmen, Kleinigkeiten zu sich zu nehmen und zu lesen.

Mit der fliesenartigen Oberfläche der Arbeiten bezieht sich Pernice auch auf die Geschichte unserer Galerieräume, die in früheren Zeiten ja als Fleischerei genutzt wurden.

Erdelmeiers Zeichnungen bilden dazu inhaltlich einen gewissen Kontrast. Parodiert Pernice Erfolgsgeschichten, beschäftigt sich Erdelmeier seinerseits eher mit Fragen der Erfolgslosigkeit oder des Scheitern: Er befragt unser Verhältnis zu den Mächtigen und dem gegenwärtigen Wirtschaftssystem, zu Religion oder Psychologie nicht ohne auf kritische und zuweilen bösartige Untertöne zu verzichten. Seine Zeichnungen sind organisch wuchernde und überbordende Text-, Bild- und Gedankenakkumulationen. „Wer macht das Geschäft, wer passt sich an, wer rebelliert?“ Klassische Repräsentationsformen werden mißachtet, Fehler bewußt eingebaut.

atb #09 | Beschlagnahmt: R. Heißler

Objekte aus dem Gefängnis
Ein Ausstellungsprojekt von Joachim Baur

Ausstellung: 27. Oktober – 17. November 2007
geöffnet Do, Fr, Sa 15.00 – 19.00 und nach tel. Vereinbarung +49 (0)179 947 30 40

Sonntag, 28.10.2007, 18.00 Diskussion mit Rolf Heißler
Donnerstag 1.11.2007, 19.00 Werkstattgespräch mit Kurator Joachim Baur
(in Kooperation mit Schnittpunkt Berlin – Ausstellungstheorie & Praxis)


Rolf Heißler war Mitglied der RAF. In den 22 Jahren seiner Haft von 1979-2001 wurde seine Post überwacht, knapp 2000 Sendungen wurden beschlagnahmt. Anhand ausgewählter Objekte thematisiert die Ausstellung den Kampf um Kontrolle, die Versuche der Kommunikation sowie verschiedene Dimensionen der Projektion unter den Bedingungen der Isolation. Sie wirft damit einen anderen Blick auf die lange Geschichte der Konfrontation von RAF, Staat und politischer Bewegung.

Eine rote Plastiknelke, getrocknete Orangenschalen, zahllose Flugblätter, Muscheln und Trockenblumen, Wunderkerzen, Zeitungsartikel, Plakate, Postkarten, Wollsocken, ein selbst gemaltes Kinderbild, Lavendel. Es sind die unterschiedlichsten Dinge, die Rolf Heißler in den 22 Jahren Haft von 1979-2001 ins Gefängnis geschickt wurden – gemeinsam ist ihnen, dass sie beschlagnahmt wurden. Vieles davon erscheint zunächst unscheinbar. Bei etlichen Sachen stellt sich gleichermaßen die Frage, warum sie geschickt und warum sie „angehalten“ wurden.

Auf den zweiten Blick entdecken sich in den Dingen jedoch die Bedingungen der Isolationshaft ebenso wie die Versuche, sie zu durchbrechen. Die Objekte sind Sedimente der Haftbestimmungen und sichtbare Zeugen eines panoptischen Gefängnisregimes, das auf der Ausgrenzung sinnlicher Wahrnehmung basiert. Sie stehen für die hartnäckigen Versuche, Beziehungen und Kommunikation aufzubauen zwischen „draußen“ und „drinnen“. Sie offenbaren vielfältige Formen der Projektion, etwa des Staates von der Gefährlichkeit banalster Objekte oder der BriefschreiberInnen von den Bedürfnissen des Gefangenen. Gleichsam alltäglich veranschaulichen sie ein jahrelanges, ständiges Ringen um Kontrolle – der Gefängnisleitung über „Sicherheit und Ordnung des Vollzugs“, des Gefangenen über sein Leben. Denn auch die Subjekt-Position Heißlers als aktiver Teil der Auseinandersetzung ist im Zusammenhang mit den Dingen erfahrbar. Zahllose Beschwerdebriefe und ein Ordner, in dem Heißler sämtliche Beschlagnahmen notiert und kommentiert hat, demonstrieren seine Strategie einer „Kontrolle der Kontrolle“.

Schließlich erscheinen in diesen „angehaltenen“ Postsendungen – wie in einem mehrfach gebrochenen Spiegel – die sozialen und politischen Bewegungen der 80er und 90er Jahre mit ihren Themen, Diskussionen und Konjunkturen: internationale Solidaritätsbewegung, Hausbesetzer, Antifa, Anti-Kriegs- und Frauenbewegung, Proteste gegen Volkszählung und soziale Ungleichheit. Die Objekte entfalten so auf ungewohntem Terrain eine komplexe „Dreiecksbeziehung“ zwischen Staat, Bewegung und Gefangenem aus der RAF.